#Heldenhacks
Esoterik im Netz: harmlos oder bedenklich?
Online-Aberglaube im Unterricht besprechen
Erschienen am 1. Dezember 2023 · Autor Kevin Benger
»Dein Sternzeichen passt hervorragend zu meinem. Wir sind eindeutig füreinander bestimmt«.
Glaubt man den Versprechungen von Horoskopen und Heilsteinen könnte vieles im Leben so einfach sein. Aber was hat das alles mit kritischer Medienbildung und Recherchekompetenz zu tun? Unter anderem dieser Frage gehen wir in diesem Beitrag auf den Grund. Inklusive zwei Vorschlägen für die Unterrichtsgestaltung.
Esoterik ist keine ausgediente Kaffeesatzleserei von vorgestern, sondern mitten in der Alltagskultur angekommen — der Zeitgeist Esoterik ist hip, chic und mit schwer genau zu beziffernden Milliardenumsätzen kommerziell ungeheuer erfolgreich. 01 Die Leipziger Autoritarismus-Studien von 2020 02 und 2022 03 weisen zudem nach, dass grob ein Drittel der deutschen Bevölkerung für Aberglauben empfänglich ist.
Kein Wunder. Gerade bei individuellen Notsituationen und gesellschaftlichen Krisen wie einer noch nicht lange überstandenen Pandemie, dem Klimawandel, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und dem jüngst eskalierten Nahostkonflikt als Katalysatoren offenbart sie sich nicht wenigen Menschen als ein sehr attraktives Angebot der Welt- und Lebensdeutung. Auch wenn esoterische Blütephasen in Wellen kommen und gehen: Gerade erscheint der Seegang wieder besonders rau — digitalen Medien sei Dank.
Unter Hashtags wie #witchesofinstagram oder #crystaltok posten Influencer*innen Milliarden von Beiträgen zu esoterischen Themen. Neben Hexen, Tarotkarten, Kristallen und Heilsteinen stößt man hier auch auf Aura- bzw. Einhornsprays, Energie-Waschkugeln, Wasserfallessenzen, Quantenheilung, Schwingungskosmetik und kosmische Schmetterlingsgärten. Es gibt beinahe nichts, was es nichts gibt. Immer mehr junge Menschen, darunter besonders viele junge Frauen und Mädchen sehen sich online entsprechende Fotos und Videos an.
So weit, so harmlos?
In der Tat: Vieles, was sich als esoterisch darbietet, wirkt skurril und absurd — letztlich aber harmlos. Was auf den ersten Blick nur sonderbar erscheint, verstellt jedoch mitunter den zweiten Blick auf mögliche Gefahren.
Auf diesen Umstand macht auch Katharina Nocun, Publizistin und Co-Autorin des Buches »Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik« aufmerksam. Sie stellt klar, dass Esoterik ein durchaus relevantes Phänomen für junge Menschen ist, auch wenn diese an sich »alter Wein in neuen Schläuchen« sei. Dass der neue Tropfen gerade bei jungen Menschen so Erfolg habe, liege vor allem an den über Algorithmen definierten, schnellen und einfachen Verbreitungsmöglichkeiten, die Social Media bietet. Diese würden von den Anbieter*innen esoterischer Inhalte gezielt ausgenutzt. Denn schauen die Nutzer*innen einen Beitrag zu esoterischen Themen länger an, werden ihnen immer mehr vergleichbare Beiträge angezeigt. Das kann dazu führen, dass sie sich irgendwann in einer Filterblase für Esoterik-Themen wiederfinden, so dass Kristalle und Einhornsprays plötzlich ganz normal erscheinen. Und akzeptieren Nutzer*innen das erst einmal als normal, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie Geld für esoterische Produkte ausgeben oder sich für Verschwörungserzählungen öffnen.
Beispiele für problematische Esoterik-Trends unter jungen Menschen
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#divinegodess oder #divinefeminity
Trend, der unter einem pseudofeministischen Deckmantel jungen Frauen die Erstrebsamkeit althergebrachter stereotyper und letztlich patriarchal gepägter Geschlechterrollen vermittelt.
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#luckygirlsyndrome oder #manifestation
Trend, der suggeriert, dass es mit reiner Gedankenkraft möglich ist, Liebe, Glück oder Reichtum herbeizusehnen. Kann zu Entpolitisierung führen und dazu, dass äußeren und damit auch gesellschaftlich ungerechten Zuständen keine Gestaltbarkeit beigemessen wird. Zudem bietet es die Möglichkeit vor der notwendigen Verarbeitung negativer Erfahrungen zu flüchten bzw. sie zu verdrängen.
Was haben Esoterik und Verschwörungsdenken miteinander zu tun?
Esoterik und Verschwörungsdenken geben sich nicht selten die Klinke in die Hand, weil beides im Kern die gleichen sozialpsychologischen Bedürfnisse und Motive nach Halt, Orientierung und Selbstaufwertung befriedigt. Ein Abrutschen vom einen in das andere ist also schnell möglich. In einer nicht vorgezeichneten Welt, die von Zufall, Komplexität und Widersprüchen geprägt ist, können sowohl Verschwörungsnarrative als auch esoterische Glaubensformen zu Sinn- und Orientierungsmaschinen werden — zur herbeigesehnten versöhnlichen Suggestion eines vermeintlich sicheren Felses in der wilden Brandung.
Parallelen von Esoterik und Verschwörungsglauben
- Annahme unsichtbarer Mächte, die im Hintergrund die Welt beeinflussen
- Dualistische Weltsicht guter und böser Mächte ohne notwendige Differenzierung
- Besonders in Krisen: Tröstende, komplexitätsreduzierende, haltgebende und sinnstiftende psychologische Funktion
- Bestreben, sich wissenschaftlicher Überprüfung und dem Gebot der Widerlegbarkeit zu entziehen
- Wechselseitige Finanzierungsgrundlage: Verschwörungsunternehmer*innen nutzen esoterische Angebote um Einnahmen zu generieren, während Verschwörungsideologien auch als Verkaufsargument für esoterische Anbieter*innen herhalten.
Esoterik in der Schule besprechen
Wie kann es gelingen, junge Menschen für die problematischen Aspekte von Esoterik zu sensibilisieren? Wir haben Ihnen zwei Herangehensweisen für den Unterricht zusammengestellt, die Ihnen hierbei helfen können. Werden Sie eine Lehrkraft, die digitale Recherchekompetenz fördert!
Recherche- und Medienkompetenz stärken
Nutzen Sie unseren kostenfreien Online-Kurs »Fake-Profile und radikale Meinung im Netz«. In diesem zeigen wir Schüler*innen, wie sich Themen rasend schnell im Internet verbreiten und warum Nutzer*innen manchmal das Gefühl bekommen alle um sie herum nutzen esoterische Angebote oder stimmen einer Verschwörungsideologie zu.
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Schritt 1
Klicken Sie sich einmal durch den Kurs »Fake-Profile und radikale Meinung im Netz«, und notieren Sie sich zwei Doppelstunden im Kalender, in denen Sie den Kurs mit Ihren Schüler*innen durchführen möchten.
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Schritt 2
Falls Sie unsicher sind, wie Sie den Kurs durchführen sollen, nutzen Sie gerne unser kostenfreies, dauerhaft verfügbares Webinar »Wie Sie Fake News im Unterricht thematisieren« dazu.
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Schritt 3
Reservieren Sie gegebenenfalls einen Beamer oder ein interaktives Whiteboard und testen Sie den Internetzugang im betreffenden Klassenraum.
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Schritt 4
Drucken Sie Arbeitsblätter und Merkblätter für Ihre Schüler*innen vorab aus.
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Schritt 5
Führen Sie den Kurs mit Ihren Schüler*innen durch.
Irrationale Gedankenwelten entzaubern
Schaffen Sie Bewusstsein für einige der grundlegenden psychologischen Mechanismen und Bedürfnisse, an die esoterische aber auch verschwörungsideologische Weltdeutungsmodelle andocken. Regen Sie so zur kritischen Selbstreflexion an!
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Schritt 1
Lassen Sie ihre Schüler*innen folgenden Text lesen und fragen Sie danach, ob, und wenn ja wo, ihnen so etwas schon mal begegnet ist.
»Du bist in schwierigen Situationen widerstandsfähig und findest immer einen Weg, sie zu meistern. Du zeigst dich nach außen hin stark, aber innen fühlst du manchmal eine gewisse Unsicherheit, die du jedoch gut verbirgst. Du strebst nach neuen Erfahrungen und Abenteuern, aber manchmal hält dich die Angst vor dem Neuen und Unbekannten zurück.«
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Schritt 2
Fordern Sie ihre Schüler*innen dazu auf, aufzuzeigen, wenn sie sich im Gesagten widergespiegelt sehen. Erwartungsgemäß sollten hier relativ viele Hände hochgehen.
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Schritt 3
Versuchen Sie mit ihren Schüler*innen über gemeinsame Reflexion herauszuarbeiten, woran es liegen könnte, dass, obwohl Menschen doch so unterschiedlich sind, sich die allermeisten in solchen Aussagen wiederfinden. Halten Sie die Diskussionsergebnisse gemeinsam fest.
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Schritt 4
Schauen Sie gemeinsam den Ausschnitt bei Minute 2:41-6:45 des YouTube-Clips »So gefährlich kann Esoterik sein« an.
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Schritt 5
Besprechen Sie im Anschluss die Bedeutung der angesprochenen psychologischen Mechanismen (wie z.B. den Barnum Effekt) mit ihren Schüler*innen. Überlegen Sie dann, wo überall solche Effekte noch eine Rolle spielen könnten.
Ihr Autor
Kevin Benger
Verantwortungsbereich bei den Digitalen Helden
Projektleitung Recherchekompetenz
Quellenangaben
- Das Geschäft mit dem Aberglauben, Von Stefanie Diemand, Grafiken Julia Bellan, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2023 faz.net
- Autoritäre Dynamiken, Neue Radikalität – alte Ressentiments, Leipziger Autoritarismus Studie 2020, von Oliver Decker, Elmar Brähler (Hg.), Heinrich-Böll-Stiftung, Otto Brenner Stiftung, 2020, PDF boell.de
- Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten: Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?, Leipziger Autoritarismus Studie 2022, von Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller, Elmar Brähler (Hg.), Heinrich-Böll-Stiftung, Otto Brenner Stiftung, 2022 boell.de